Zöliakie: Die Krankheit, die sich gut tarnt
Neben den typischen Magen-Darm-Beschwerden bringt Zöliakie noch viele weitere Symptome mit sich. Da diese jedoch nicht immer offensichtlich sind, vergehen oft Jahre bis zur Diagnose. Lesen Sie, wie man der Glutenunverträglichkeit auf die Spur kommt.
Weizen, Dinkel, Gerste, Roggen und Hafer – all diese Getreidesorten enthalten Gluten. Menschen mit einer Zöliakie haben eine Unverträglichkeit des Dünndarms gegenüber Gluten. Bei Betroffenen löst der Verzehr eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus. Dadurch sterben mit der Zeit die Zotten des Dünndarms ab, und es kommt zu einer Unterversorgung des Körpers mit lebenswichtigen Vitaminen. Da Zöliakie verschiedene, oft nicht eindeutig zuzuordnende Symptome verursacht, ist die Erkrankung schwer zu diagnostizieren. «Experten schätzen, dass rund 80 Prozent der Betroffenen noch keine Diagnose haben», sagt KSB-Ernährungsberaterin Christina Hüsler. Im Interview erzählt sie zudem, auf welche Produkte und Lebensmittel Betroffene verzichten und weshalb sie sich keine Ausnahme gönnen sollten.
Ein Blick in die Regale der Supermärkte zeigt: Die Auswahl an glutenfreien Produkten hat in den letzten Jahren zugenommen. Dies liegt nicht nur an der steigenden Anzahl von Menschen mit Intoleranzen und Allergien. Auch einige Spitzensportler schreiben ihre Leistungsfähigkeit einer glutenfreien Ernährung zu, glutenfreie Ernährung liegt im Trend. Sollten Konsumentinnen und Konsumenten aus gesundheitlichen Gründen deshalb lieber auf glutenfreie Produkte als auf Weizen, Gerste und Co. setzen?
Christina Hüsler: Auch wenn glutenfreie Ernährung momentan im Trend liegt, ist sie nicht per se gesünder. Sie ist wirklich nur für Personen mit einer diagnostizierten Zöliakie oder mit glutenassoziierten Erkrankungen nötig.
Wenn jemand tatsächlich Magen-Darm-Probleme hat, wäre die glutenfreie Ernährung doch einen Versuch wert?
Um eine Zöliakie als Ursache für die Symptome zu bestätigen oder auszuschliessen, ist eine saubere Diagnostik unumgänglich. Eine Zöliakiediagnose ist jedoch nur unter glutenhaltiger Kost möglich, da die Diagnostik sonst falsch negativ sein kann. Zudem ist eine strikte glutenfreie Ernährung ohne entsprechende Indikation eher mit Nachteilen verbunden: zum einen, weil glutenfreie Produkte meist teurer sind. Zum anderen kommt es auch zu sozialen Einschränkungen, zum Beispiel bei Einladungen und in der Freizeitgestaltung. Generell ist die Verunsicherung bei einer glutenfreien Diät grösser, da der Fokus stärker auf dem Essen liegt, als dies bei einer normalen Ernährung der Fall wäre.
Im Schnitt vergehen von den ersten Symptomen bis zur Diagnose sieben Jahre. Wieso dauert es so lange?
Die Anzeichen einer Zöliakie sind sehr heterogen, weshalb sie oft jahrelang nicht erkannt wird. Es wird geschätzt, dass etwa 80 Prozent der Betroffenen noch keine Diagnose haben. Denn die Erkrankung äussert sich nicht nur durch Magen-Darm-Beschwerden. So kann es bei Kindern zu Entwicklungsrückständen kommen, die sich erst verzögert zeigen, oder auch zu Mangelzuständen, die man nicht gleich bemerkt. Möglich sind auch psychische Beschwerden wie Depressionen. Wenn man eine Zöliakie entdecken will, muss man aktiv nach ihr suchen. Oft sind es Zufallsbefunde. Wenn die Zöliakie familiär schon ein Thema ist, sucht man eher danach.
Bei bestätigter Zöliakie – was sind die nächsten Schritte nach Erhalt der Diagnose?
Eine Ernährungsberatung ist möglichst bald nach der Diagnose zu empfehlen. Im besten Fall sollte der oder die Betroffene auch die näheren Angehörigen dazu mitbringen. So können auch sie erfahren, was genau die glutenfreie Ernährung in der Praxis bedeutet. Zum Beispiel eine klare Trennung von glutenfreien und glutenhaltigen Produkten im Haushalt. Der Einkauf im stationären oder Onlinehandel ist eine der nächsten zeitintensiven Aufgaben. Ebenso das Informieren betroffener Personen und gegebenenfalls von Institutionen wie Kita, Schule sowie von Grosseltern usw.
Es reicht also nicht, einfach auf Brot und Getreideprodukte zu verzichten?
In sehr vielen Fertigprodukten sind beispielsweise Weizenbestandteile zu finden. Gluten kann auch in Tiefkühlgemüse, Süssigkeiten oder Fertigsaucen enthalten sein. Dies kann sich sogar je nach Charge verändern, deshalb sollte von Zeit zu Zeit das Zutatenverzeichnis studiert werden. Auch beim Auswärtsessen lauern Risiken, sei es bei privaten Einladungen oder in Restaurants, weil es in der Küche zu Kontamination durch glutenhaltige Produkte kommen kann. Dies beispielsweise aufgrund von mangelnden Kenntnissen des Personals zur glutenfreien Ernährung.
Besonders schwierig ist die Umstellung wahrscheinlich bei kleineren Kindern?
Bei Kindern sollte man unbedingt auch das Umfeld informieren. So sollten bei Verabredungen die anderen Eltern ebenso wie weitere Betreuungspersonen und Lehrpersonen informiert sein. Und den Kindern selbst sollte verständlich gemacht werden, warum sie ihr Znüni im Kindergarten oder in der Schule nun nicht mehr mit ihren Freunden teilen können. Auch die Kontaktaufnahme mit Online-Selbsthilfegruppen oder der IG Zöliakie ist hilfreich. So bietet die IG neben Tipps und Hilfestellungen im Alltag auch Anlässe für Neudiagnostizierte, Merkblätter für die Gastronomie und vermittelt Kontakte zu Kinderregionalgruppen.
Wenn man eine Zöliakiediagnose, aber kaum Beschwerden hat: Darf man sich zwischendurch eine Ausnahme gönnen?
Man sollte die Ernährungsumstellung wirklich konsequent durchziehen.
Nicht mal ein Stück vom Geburtstagskuchen oder ein Schluck Panaché am heissen Sommertag?
Nein, der Grund dafür ist, dass die Dünndarmschleimhaut bei jedem Kontakt mit Gluten geschädigt wird. Und dies bereits bei kleinen Mengen wie einer Nudel oder einem Brotkrümel. Bei fehlenden Symptomen, sprich: wenn man nicht direkt mit Magen-Darm-Problemen auf Gluten reagiert, ist es natürlich schwieriger, sich daran zu halten. Doch die glutenfreie Ernährung ist auch hier unbedingt einzuhalten, damit die Antikörper nicht wieder steigen und dadurch eine Immunreaktion entsteht. Als langfristige gesundheitliche Auswirkung bei einer permanenten Entzündung im Körper steigt das Risiko für verschiedene Erkrankungen, wie zum Beispiel Darmkrebs oder andere Autoimmunerkrankungen.
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